Jan Caba, LL.M.

Straftaten und Strafmaßnahmen zum Schutz der Rechtspflege gemäß Art. 70, 71 IStGH-Statut


Strafverfahren können durch Verfahrensbeteiligte und nicht am Verfahren Beteiligte behindert werden. Staaten bestimmen in ihren nationalen Rechtsordnungen, welche Verhaltensweisen unrechtmäßige Behinderungen der Strafrechtspflege darstellen und wie solchen Störungen zu begegnen ist. Den modernen Rechtsordnungen ist gemein, dass sie auch und primär durch Sanktionen versuchen, Behinderungen von Strafverfahren zu unterbinden. Soweit es allerdings um internationale Strafverfahren geht, stößt das nationale Strafrecht, auch wenn es zu deren Schutz erweitert wird, an territoriale Grenzen. So kann es wie bei den „core crimes“ des Völkerstrafrechts vorkommen, dass ein Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, eine Straftat gegen die internationale Rechtspflege zu ahnden. Zudem dürfte es meist prozessökonomischer sein, das Rechtspflegedelikt vor dem internationalen Gericht zu verfolgen. Aus diesen Gründen entschieden internationale Gerichte wie der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), der Special Court for Sierra Leone (SCSL) und das Special Tribunal for Lebanon (STL), Straftaten gegen ihre Rechtspflege selbst zu verfolgen. Die Statuten dieser Gerichte enthalten zwar keine derartige Befugnis. ICTY, SCSL und STL stellten jedoch eine „inherent jurisdiction“ fest, jegliche Behinderung ihrer Rechtspflege zu ahnden.

Ein anderer Weg wurde beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gewählt. Art. 70 des IStGH-Statuts enthält eine zweifache transnationale Erweiterung des Strafrechts zum Schutze der Rechtspflege. Zum einen sieht Art. 70 Abs. 4 ein spezifisches Modell der Zusammenarbeit des IStGH mit den Vertragsstaaten vor. Art. 70 Abs. 4 a) verpflichtet die Vertragsstaaten, ihr nationales Strafrecht zum Schutze staatlicher Ermittlungs- und Gerichtsverfahren auf Verfahren des IStGH auszudehnen. Gemäß Art. 70 Abs. 4 b) kann der IStGH einen Vertragsstaat anweisen, eine solche Tat zu verfolgen. Zum anderen wurde mit Art. 70 Abs. 1 supranationales materielles Strafrecht zum Schutze der IStGH-Verfahren geschaffen: Strafbar sind unter anderem Falschaussage, Fälschung und Vernichtung von Beweisen sowie Bestechung von und Vergeltungsmaßnahmen gegen Zeugen und Bedienstete des IStGH. Das supranationale Strafrecht zum Schutze der Rechtspflege in Art. 70 Abs. 1 tritt neben das entsprechend Art. 70 Abs. 4 a) erweiterte nationale Strafrecht der Vertragsstaaten. Gemäß Art. 71 kann der IStGH zudem Strafmaßnahmen verhängen, wenn eine vor ihm anwesende Person sein Verfahren stört oder sich weigert, eine gerichtliche Anordnung zu befolgen. Anders als bei den anderen internationalen Strafgerichten wurden dem IStGH die Straftatbestände von den Vertragsstaaten im Statut vorgegeben, was gegen eine „inherent jurisdiction“ des IStGH spricht, über Art. 70 und 71 hinausgehende Straftaten gegen die Rechtspflege zu verfolgen.

Art. 70 und 71 IStGH-Statut waren bislang kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Insbesondere wurde bislang nicht eingehend untersucht, ob sie genügen, um die Strafverfahren des IStGH zu schützen. Vorrangiges Forschungsziel dieses Projekts ist es daher, Inhalt und Reichweite von Art. 70 und 71 präzise zu bestimmen, eventuelle Schutzlücken offenzulegen und zu erörtern, wie diese geschlossen werden können.

Zentrale Forschungsmethode ist die funktionale Rechtsvergleichung. Zunächst wird untersucht, wie die USA, Deutschland sowie ICTY, SCSL und STL mit Behinderungen von Strafverfahren verfahren. Es folgt eine entsprechende Analyse des IStGH. Schließlich werden die Systeme miteinander verglichen, um zu ermitteln, ob es von Art. 70 und 71 IStGH-Statut nicht erfasste Verhaltensweisen gibt, die die Strafverfahren vor dem IStGH behindern könnten und ob diesen Behinderungen durch weitere Straftatbestände begegnet werden soll.

Jan Caba, LL.M.
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Jan Caba wurde 1980 in München geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in München, Paris und London. An der Universität Paris II (Panthéon-Assas) erwarb er 2003 die Licence en droit und 2004 die Maîtrise en droit.

Nach seinem Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München legte er 2008 die Erste Juristische Prüfung ab. Während seines Rechtsreferendariats in München arbeitete er unter anderem für die Praxisgruppe Gesellschaftsrecht/M&A einer internationalen Wirtschaftskanzlei, für eine auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Kanzlei und für die Deutsche Botschaft in Addis Abeba/Äthiopien.

Die Zweite Juristische Staatsprüfung legte er 2009 in München ab. 2012 erwarb er an der London School of Economics and Political Science einen Master of Laws (LL.M.) im Völkerrecht. Von 2010 bis 2014 war Jan Caba als Rechtsanwalt der Praxisgruppe Konfliktlösung für eine internationale Wirtschaftskanzlei an den Standorten München und Istanbul tätig. Jan Caba ist seit Mai 2015 Mitglied der Research School.