Dr. Mehmet Arslan

Die Aussagefreiheit des Beschuldigten bei der polizeilichen Befragung im deutschen und türkischen Recht

Ein Rechtsvergleich im Lichte der EMRK

Status

Das Projekt ist abgeschlossen

Publikation

  • 670 Seiten; Berlin, 2015
  • ISBN: 978-3-86113-801-3 (Max-Planck-Institut)
  • Preis: 55 EUR

Der Beschuldigte steht im Mittelpunkt des Strafverfahrens. Kennzeichnend für seine Rechtsstellung ist in den drei untersuchten Rechtsordnungen (Türkei, Deutschland, EMRK) der Grundsatz, dass der Beschuldigte nicht verpflichtet ist, an seiner Überführung mitzuwirken: nemo tenetur se ipsum accusare. Dieser zentrale Grundsatz eines jeden rechtsstaatlichen Strafverfahrens wird, wie in Art. 38 Abs. 5 der türkischen Verfassung, entweder ausdrücklich oder implizit durch Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährt. Das Dissertationsprojekt hat herausgearbeitet, dass sich die Aussagefreiheit des festgenommenen Beschuldigten in den drei Rechtsordnungen in vier Bestandteile gliedern lässt: Schutz vor Aussagezwang, Umgehungsverbot durch verdeckte Ermittlungen, Schutzrechte und Beweisverwertungsverbote.

Die zentrale Norm für den Zwangsschutz in der EMRK ist das Folter- und Misshandlungsverbot nach Art. 3. Über diese krassen Verstöße hinaus prüft der EGMR im Fall von geringfügigerer Ausübung von Druck den „voluntary character“ eines polizeilichen Geständnisses nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat der EGMR ferner in seinem Allan-Urteil, dass das Schweigerecht eines Beschuldigten effektiv umgangen wird, wenn die Ermittlungsorgane ihm durch Anwendung einer Täuschung belastende Aussagen entlocken. Darüber hinaus sind als Schutzrechte der Aussagefreiheit der Rechtsprechung des EGMR die Informations- und Gewährleistungsrechte anerkannt, namentlich die Belehrung des Beschuldigten über gegen ihn erhobene Beschuldigungen nach Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK, über das Schweigerecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und das Recht auf Verteidigerkonsultation nach Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK sowie die Gewährung des Zugangs zu einem Verteidiger nach Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK. Schließlich gewinnt die Geltung der Aussagefreiheit in der Rechtsprechung des EGMR dadurch an Schärfe, dass der Gerichtshof bei aller Zurückhaltung in Fragen des Beweisrechts für Aussagen, die unter Verstoß gegen die genannten Konventionsrechte erlangt worden sind, u.U. ein Verwertungsverbot fordert.

Mit Blick auf diese menschenrechtlichen Vorgaben wurde die einschlägige Rechtsanwendung in Deutschland vom EGMR im Fall Gäfgen einer strikten Prüfung unterzogen. Eine Verurteilung wegen der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren war von deutschen Gerichten erfolgreich abgewendet worden, indem die unter Folterandrohung erlangte Aussage des Beschuldigten im konkreten Fall für unverwertbar erklärt worden war. Bei der Frage der Fernwirkung scheint die deutsche Rechtsprechung allerdings in gewissen Fällen hinter den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu bleiben. Dagegen hat der BGH im Hinblick auf die Grenzen einer verdeckten Befragung des Beschuldigten mit Straßburg eine bemerkenswerte Annäherung erzielt.

Eine ähnliche Rechtsharmonisierung fand bzw. findet in der Türkei bedauerlicherweise nicht statt, obwohl sie mehrmals wegen Verstößen gegen die Aussagefreiheit seitens des EGMR verurteilt wurde. Markante Unzulänglichkeiten stellte der Gerichtshof bezüglich nach Art. 3 EMRK verbotenen Vernehmungsmethoden fest. Die türkische Regierung reagierte darauf in zweierlei Hinsicht: durch die Ankündigung einer „Null-Toleranz“-Politik gegen Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam und die Inkraftsetzung einer neuen StPO im Jahr 2005, die die Rechte des festgenommenen Beschuldigten beachtlich ausbaute. Die Untersuchungsergebnisse belegen allerdings eindeutig, dass insbesondere der türkische Kassationsgerichtshof trotz des geltenden türkischen Rechts und der ziemlich schlecht ausgefallenen Bilanz in Straßburg die Aussagefreiheit des Beschuldigten nur unzureichend beachtet.

Dr. Mehmet Arslan

Dr. Mehmet Arslan wurde in Siirt, Türkei, geboren. Sein Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er im Juni 2007 an der Ankara-Universität. Im Juli 2010 schloss er sein Masterstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ab und erhielt den akademischen Grad des Magister Legum (LL.M).

Er absolvierte vom 17. Februar 2009 bis 31. März 2009 ein Praktikum im Bundestag beim Karlsruher Bundestagsabgeordneten Johannes Jung. Ferner unterstützt er seit Januar 2009 Herrn RA Dr. Ali Yarayan bei Fragestellungen des türkischen und deutschen Rechts und steht ihm wissenschaftlich zur Seite.

Die Aufnahme in die Research School erfolgte im Mai 2011. Im Februar 2015 schloss er das Projekt ab.