Dr. Ghassem Ghassemi
Analyse der iranischen Strafrechtspolitik seit der Revolution von 1979
Ein Vergleich der Straf- bzw. Sanktionensysteme im Iran und in Deutschland
Status
Das Projekt ist abgeschlossen
Strafe ist ein essenzielles Phänomen in der menschlichen Gesellschaft. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, sich eine Gesellschaft ohne die eine oder andere Art von Schmerz, der Verbrechern zugefügt wird, vorzustellen. Dennoch variieren Verbrechensnatur und Strafmodalität im Lauf der Zeit und in unterschiedlichen Ländern.
Die Strafdynamik wird unterschiedlich erklärt. In unserer Zeit sind aufgrund der wachsenden Komplexität der Gesellschaften und der Intensivierung kultureller, politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern die Grundmotive der Strafentwicklung diversifiziert. Infolgedessen ist die Einstellung einer Gesellschaft zu Verbrechen, Strafe und den Grenzen strafrechtlicher Sanktionen nicht nur von lokalen Diskursen beeinflusst, sondern immer häufiger auch von globalen und internationalen Diskursen über „gerechte“, „humane“ und „rationale“ Strafe. In der Tat bedingt eine komplexe Mischung verschiedener Faktoren – kulturelle und traditionelle Werte, historisches Gedächtnis, internationale und globale Sensibilität, herrschende Moral und politische Ideologie – auf nationaler und internationaler Ebene die heutige Strafpraxis und ihre zukünftigen Änderungen in der Gesellschaft.
Forschungsgegenstand der Studie ist die Strafentwicklung in Deutschland und im Iran seit dem ersten Versuch der Strafmodernisierung bis zum heutigen Zeitpunkt. Sie vergleicht Strafe und Strafzumessung im Iran und Deutschland aus vier Sichten: Strafrechtliche Sanktionen und Institutionen, Strafdiskurse, Strafpraxis sowie öffentliche Einstellungen gegenüber Strafe.
Ziel ist es, die Grenzen der Strafe, ihre Intentionen und Modalitäten in verschiedenen Kulturen besser zu verstehen. Hierfür eignet sich die Untersuchung von strafrechtlichen Sanktionen im Iran und in Deutschland besonders deshalb, weil deren Regierungen sehr unterschiedlich sind, d.h. religiöse Autokratie versus säkulare Demokratie. Das Verständnis für Strafpolitik und -praxis im postrevolutionären Iran zu vertiefen ist ein weiteres Ziel der Studie.
Der multidimensionale Vergleich der Strafe in den beiden Ländern zeigt, dass sie sich sowohl normativ als auch institutionell stark unterscheidet. Auf normativer Ebene ist aber der Unterschied viel deutlicher. Im Gegensatz zu Deutschland sind strafrechtliche Sanktionen im Iran weniger oder gar nicht von Grundnormen – weder durch religiös/islamische noch säkulare – geregelt und beschränkt. Strafe im Iran bezieht sich auch kaum auf subjektive Grundnormen. Sie ist ein rein notwendiges und funktionales Instrument zur Beibehaltung der herrschenden sozialen Ordnung. Ob die strafrechtlich geschützten Normen immer noch gesellschaftlich respektiert werden, hat für den Strafapparat keine Relevanz. Die Strafe hat ihre absolute „Autopoesis“ und verweigert sich der Anpassung an ihre Umwelt. Einerseits entfremdet sich der Strafapparat von dem sich verändernden Teil der Gesellschaft. Andererseits bildet er für den nicht veränderten Teil eine Komponente seiner Identität. Auch existieren Strafgebiete, für die in der Sharia keine Regelungen vorgesehen sind und die somit anpassungsfähig sind. Diese gesellschaftliche Spaltung von Strafe und Scharia wird durch eine empirische Untersuchung über Strafeinstellung und Scharia in Iran belegt.
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Einordnung Forschungsprogramm
- Forschungsschwerpunkte: Universale Strafrechtsvergleichung, Funktionale Grenzen
- Relevante Rechtsordnungen: Nationales Strafrecht
- Das Projekt ist abgeschlossen.
- Bei Fragen zum Projekt oder zu Dr. Ghassem Ghassemi wenden Sie sich bitte per Email an uns.
Dr. Ghassem Ghassemi wurde in Sabzevar, Iran, geboren. Von 1996 bis 2001 studierte er Rechtswissenschaften und Islamwissenschaften an der Imam-Sadiq-Universität Teheran. Das juristische Staatsexamen absolvierte er im Februar 2000 in Teheran und schloss sein Studium im selben Monat ab. 2003 beendete er sein Postgraduiertenstudium an der Imam-Sadiq-Universität mit dem Erwerb des „Magister Legum“ (LL.M.) und wurde im selben Jahr als Doktorand an der Shahid-Beheshti-Universität Teheran zugelassen.
Von 2002 bis 2004 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Juristischen Forschungszentrums in Teheran. 2006 wechselte er als Doktorand an das Freiburger Max-Planck-Institut. Die Aufnahme in die Research School erfolgte im Januar 2007. Im Mai 2010 schloss er seine Promotion ab.
Dissertationsbetreuer:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Jörg Albrecht