Pablo Castillo Montt
Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht
Status
Das Projekt ist abgeschlossen
In Deutschland und Chile steigt die Nachfrage nach Sterbehilfe ständig. Die Herangehensweise des Strafrechts an das Thema ist in beiden Ländern stark repressiv und wird den gesellschaftlichen Bedürfnissen nicht immer gerecht, sodass in den kommenden Jahren eine Zuspitzung der Problematik zu erwarten ist.
Die Arbeit analysiert, inwiefern die bisherige – insbesondere in Chile – sehr restriktive Regelung legitim und kriminalpolitisch sinnvoll ist. Aufgrund der fortgeschrittenen Diskussion in Deutschland stellt sich außerdem die Frage, ob die dortige Regelung einschließlich ihrer rechtstheoretischen Grundlagen als Vorbild für das chilenische Modell dienen könnte. Schließlich werden Richtlinien für eine künftige Sterbehilferegelung ausgearbeitet. Die funktional-rechtsvergleichende Untersuchung beginnt mit einer Darstellung der nationalen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und des anwendbaren „Sterbehilferechts“ unter Einbeziehung der dafür entwickelten Rechtsdogmatik und Rechtsprechung und deckt das jeweils zugrunde liegende Rechtsdenken und seine Evolution auf. Zudem wird eine Queranalyse beider Länder durchgeführt und als Grundlage für rechtspolitische Überlegungen herangezogen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass das Verständnis des Grundrechts auf Leben in den beiden Ländern zu unterschiedlichen Einstellungen zur Sterbehilfe führt. Die deutsche freiheitsorientierte Auffassung verneint rein staatliche (bzw. vom Grundrechtsträger losgelöste) Ansprüche bezüglich der Erhaltung des Lebens und lässt die Regelung der Sterbehilfe innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen offen. Chile statuiert hingegen die Verpflichtung des Staates zum uneingeschränkten Schutz des Lebens „an sich“ – ohne Rücksicht auf den Willen des Grundrechtsträgers –, was das kriminalpolitische Handlungsspektrum des Gesetzgebers einschränkt.
In Bezug auf die aktiven Formen der ärztlichen Sterbehilfe zeigen beide Länder eine dezidiert verbietende Tendenz, jedoch mit unterschiedlichen Ausgangspunkten. In Deutschland – wo die Tötung auf Verlangen generell strafbar ist und in Bezug auf Suizidbeihilfe Rechtsunsicherheit herrscht – ist Strafgrund der Beteiligung an einer Selbsttötung die abstrakte Gefährlichkeit des Verhaltens. Dagegen fußt die ausnahmslose Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen und der Suizidbeihilfe in Chile auf der Unverfügbarkeit des Lebens.
Größere Unterschiede gibt es im Bereich des Behandlungsverzichts. Während in Deutschland die Patientenautonomie normativ stark gesichert ist und bei Entscheidungsunfähigkeit die Ermittlung und Durchsetzung des Patientenwillens verfahrensrechtlich kontrolliert wird, begünstigt die normativ unzureichend verankerte Patientenautonomie in Chile einen aufgedrängten Lebensschutz. Darüber hinaus fehlt in Chile eine umfassende Regelung der ärztlichen Behandlung bei Einwilligungsunfähigkeit und somit Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte. Der deutsche freiheitliche und auf Vermeidung von Gefahren ausgerichtete Ansatz wird erwiesenermaßen den beiden Rechtssystemen gemeinsamen staatstheoretischen Grundlagen gerecht und empfiehlt sich als geeignetes Modell für eine dogmatische Korrektur des chilenischen Sterbehilferechts. Das deutsche positive Sterbehilferecht erscheint jedoch fragmentiert und lückenhaft und sollte folglich nicht unkritisch als Vorbild übernommen werden.
Die rechtspolitischen Überlegungen verdeutlichen die Notwendigkeit von institutionalisierten Sterbehilfemöglichkeiten. Zur Vereinbarung der grundrechtlichen Ansprüche auf Sterbehilfe und der staatlichen Lebensschutzpflicht wird deshalb ein System vorgeschlagen, das die Sterbehilfe zwar grundsätzlich verbietet, dabei aber auch ein strenges Ausnahmeverfahren vorsieht.
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Einordnung Forschungsprogramm
- Forschungsschwerpunkte: Funktionale Grenzen
- Relevante Rechtsordnungen: Nationales Strafrecht
- Das Projekt ist abgeschlossen.
- Bei Fragen zum Projekt oder zu Pablo Castillo Montt wenden Sie sich bitte per Email an uns.
Pablo Castillo Montt wurde in Santiago de Chile geboren. 2002 nahm er sein Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universidad Adolfo Ibáñez auf. Dieses schloss er 2008 ab und war bis 2011 in Straf- und Zivilsachen tätig.
Von 2012 bis 2014 nahm er am LL.M.-Programm der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg teil, welches er mit einer Magisterarbeit über die Strafbarkeit der Beihilfe durch neutrales Verhalten beendete. Sein LL.M-Studium und seine Promotion wurden von der Comisión Nacional de Investigación Científica y Tecnológica der chilenischen Regierung (CONICYT) gefördert.
Die Aufnahme in die Research School erfolgte im Jahr 2017. Im Februar 2018 schloss er seine Dissertation ab.
Dissertationsbetreuer:
Prof. Dr. Walter Perron