Johannes Schäuble

Strafverfahren und Eigenverantwortung

Die gewachsene Prozessverantwortung des Beschuldigten im Strafprozess und die Notwendigkeit eines Ausgleichs

Status

Das Projekt ist abgeschlossen

Publikation

  • 447 Seiten; Berlin, 2017
  • ISBN: 978-3-86113-791-7
  • Preis: 44 EUR

Der Beschuldigte sieht sich im deutschen Strafprozess seit einiger Zeit mit einer Reihe neuer, vornehmlich von der Rechtsprechung geschaffener Prozessinstrumentarien konfrontiert. Zu nennen sind etwa Rügepräklusionen wie die „Widerspruchslösung“ für Beweisverwertungsverbote, welche die Zulässigkeit der Revisionsrüge von einer Beanstandung bereits in der Hauptverhandlung abhängig machen. Auch an die Revisionsrüge selbst werden unter dem Stichwort der „Negativtatsachen“ beträchtliche neue Anforderungen gestellt. In der Hauptverhandlung stehen die Beweisführungsrechte des Beschuldigten unter immer höheren formellen Voraussetzungen, etwa im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof geschaffene Fristenlösung zur Ablehnung von Beweisanträgen. Schließlich weist die „Verständigung“ im Strafverfahren dem Beschuldigten eine neuartige Verfahrensrolle zu. Gemeinsamer Nenner dieser Maßnahmen ist das Bestreben, verzögerndes oder gar missbräuchliches Agieren des Beschuldigten im Prozess zu verhindern und auf diese Weise das als überlastet angesehene Verfahren „ressourcenschonender“ zu gestalten.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens soll aufgezeigt werden, dass diese Instrumentarien als Regelungsmuster bei der Verantwortung des Beschuldigten im Verfahren, also seiner Prozessverantwortung, ansetzen. Der Beschuldigte soll selbst aktiver im Verfahren agieren bzw. höhere formelle Hürden zu beachten haben, um den Verfahrensfortgang zu fördern. Das Tatgericht, dem nach der grundlegenden Konzeption des deutschen Amtsermittlungsverfahrens die Verantwortung für die vollständige und rechtmäßige Sachverhaltsermittlung zugewiesen ist, wird demgegenüber entlastet. Beispielhaft auf die Widerspruchslösung angewendet: Für das Erkennen etwaiger Beweisverwertungsverbote ist faktisch nicht mehr das Gericht, sondern der Beschuldigte in der Hauptverhandlung in der Pflicht, um sich durch die Beanstandung seine Revisionsmöglichkeit zu erhalten. Damit drängt sich die Frage auf, ob der Beschuldigte in der gegenwärtigen Ausgestaltung der Strafprozessordnung für diese verantwortlichere Rolle überhaupt gerüstet ist. Andernfalls käme die skizzierte Entwicklung faktisch einer materiellen Rücksetzung seiner Rechtsposition gleich. Daher wird im Forschungsvorhaben untersucht, ob und inwieweit die Gewichte im Strafverfahren besser ausbalanciert werden müssen, etwa durch einen Ausbau der formellen Absicherungen der Beschuldigtenposition im Strafverfahren.

Hierzu wird vergleichend der US-amerikanische Strafprozess in den Blick genommen. Da der dortige Prozess als adversatorisches Verfahren ausgestaltet ist, ist dem Beschuldigten schon von der Grundstruktur des Prozesses her eine viel verantwortlichere Position zugewiesen. Die Frage nach prozessualer Absicherung der Beschuldigtenposition stellt sich somit von vornherein in viel stärkerem Maße. Daher erscheint der Rechtsvergleich besonders gewinnbringend, um Lösungsansätze auch für den gewandelten deutschen Strafprozess zu diskutieren.

Die Arbeit geht in vier Schritten vor. Zunächst werden die Grundlagen für die Prozessverantwortung des Beschuldigten im Strafverfahren erschlossen. Der zweite Teil stellt in einem ersten Abschnitt die Grundkonzeption des deutschen Strafverfahrens dar. Darauf aufbauend werden die eingangs skizzierten Maßnahmen erläutert und ihre Auswirkungen auf die Prozessverantwortung des Beschuldigten herausgearbeitet. Der dritte Teil befasst sich mit der vergleichenden Betrachtung des US-amerikanischen Verfahrens. Mögliche zusätzliche Absicherungsmechanismen für den Beschuldigten werden schließlich im vierten Teil erörtert.

Johannes Schäuble

Johannes Schäuble wurde in Gießen geboren. Von 2004 bis 2010 studierte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Università degli Studi di Firenze Rechtswissenschaft. Ab Oktober 2007 wurde sein Studium von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert.

Nach der Ersten juristischen Staatsprüfung im Juli 2010 absolvierte Johannes Schäuble sein Referendariat am Kammergericht Berlin, das er Ende 2012 mit dem Zweiten Staatsexamen abschloss. Ausbildungsstationen waren u.a. das Bundesministerium der Justiz und ein Projekt der GIZ in Nairobi, Kenia.

Von 2008 bis 2010 war er am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht im Referat für Europäisches Strafrecht tätig. Seine Aufnahme in die Research School erfolgte zum September 2013.

Dissertationsbetreuer:
Prof. Dr. Walter Perron