Seyed Emadeddin Tabatabaei

Das Verhältnis von Religion und Meinungsäußerungsfreiheit

Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Annäherungsmöglichkeiten zwischen dem westlichen und dem muslimischen Rechtskreis

Die Internationalisierung und die damit einhergehende Entstehung einer globalisierten Gesellschaft stellen die Rechtswissenschaft vor die Herausforderung, auf diese Veränderungen und neu entstehende Risiken zu reagieren. Fraglich erscheint nun, wie das Strafrecht in einer globalen Gesellschaft ausgestaltet sein muss, wenn nicht alle ihre Mitglieder das gleiche Verständnis von schützenswerten Rechtsgütern und Werten haben.

Die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen im Jahr 2005 hat die politische Sprengkraft von unterschiedlichen Wertvorstellungen zwischen dem muslimischen und dem westlichen Teil der Welt gezeigt. Innerhalb der globalen Gesellschaft haben die Karikaturen zwei gänzlich unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Im muslimischen Teil wurden die Karikaturen als Religionsbeschimpfung aufgefasst und stellen somit eine strafbare Handlung dar. Im Westen hingegen wurden die Karikaturen von der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit – sogar trotz ihrer beleidigenden Bedeutungen – geschützt.

Die Dissertation klärt zunächst, worauf diese rechtlichen Unterschiede basieren und welche Hintergründe die unterschiedlichen juristischen Verständnisse haben. Dazu überprüft die Arbeit die epistemologischen, moral- und rechtsphilosophischen Grundlagen der westlichen und muslimischen Wertepyramide. Dadurch wird eine verfassungsrechtliche und strafrechtliche wertvergleichende Untersuchung zwischen dem deutschen und dem iranischen Rechtssystem – als repräsentative Beispiele der Rechtsordnungen – möglich. Auf dieser Ebene sucht die Arbeit nach den rechtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Rechtssystemen, und vergleicht, wie Schutz der Religion und Meinungsäußerungsfreiheit in ihnen kollidieren.

Die Forschung bezieht sich, wo nötig, auch auf die soziologischen Unterschiede, welche die juristischen Entscheidungen stark beeinflussen. Die unterschiedlichen westlichen und muslimischen Kulturelemente beeinflussen die juristischen Interpretationen und Entscheidungen ebenfalls auf internationaler Ebene. Ohne Berücksichtigung der Kulturunterschiede beschuldigen die westliche und die muslimische Seite der globalen Gesellschaft einander, einen Angriff gegen Grundwerte geführt zu haben. Die Klärung der normativen Fragen erfolgt vor allem im Wege der Rechtsvergleichung. Hierbei greift die Arbeit hauptsächlich auf die funktionale und werteorientierte Verfassungs- und Strafrechtsvergleichung zurück. Analysiert werden soll nicht nur das „Law in the Books“ sondern auch das „Law in Action“. Anhand der Erfassung der Rechtstatsächlichkeit des deutschen und iranischen Verfassungs- und Strafrechtssystems und der vergleichenden Gegenüberstellung soll ein besseres gegenseitiges Verständnis gefördert werden.

Die Veränderung der Risiken der globalen Gesellschaft macht die Berücksichtigung der tief in dieser Gesellschaft verwurzelten kulturellen Grundlagen notwendig. Die Herausarbeitung und Vergleichung dieser beiden unterschiedlichen transnationalen Werteordnungen innerhalb der globalen Gesellschaft verhindern die Akkumulierung der Missverständnisse, die zur Verschärfung der bereits bestehenden Spannungen führen. Im ersten Schritt erklärt die Entdeckung der Unterschiede die Missverständnisse, die gegenseitig respektiert werden sollten. Im zweiten Schritt ermöglicht die Feststellung von Gemeinsamkeiten eine Annäherung der Systeme. Dadurch lassen sich Kompromisse aufzeigen, die für beide Seiten annehmbar sind.

Seyed Emadeddin Tabatabaei
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Seyed Emadeddin Tabatabaei wurde in Teheran, Iran, geboren. Von 1998 bis 2003 studierte er Rechtswissenschaft an der Universität Teheran. Im Juli 2003 schloss er sein Studium mit dem Erwerb des Lizenziats ab.

Von 2004 bis 2005 war er im Rahmen seiner Wehrpflicht in Teheran als Pflichtverteidiger tätig. In Zusammenhang mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Dialogbegleiter an der Imam Mussa Sadr Stiftung Teheran absolvierte er im Jahr 2006 ein durch die Abteilung Dialog mit der islamischen Welt des Instituts für Auslandsbeziehungen (Stuttgart) gefördertes Praktikum am Amts- und Landgericht Freiburg sowie bei der Staatsanwaltschaft in Freiburg. Im April 2010 schloss er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sein Postgraduiertenstudium mit dem Erwerb des „Magister Legum“ (LL.M.) ab.

Die Aufnahme in die Research School erfolgte im August 2011.