Dr. Gang Wang
Die strafrechtliche Rechtfertigung von Rettungsfolter
Ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland und den USA
Status
Das Projekt ist abgeschlossen
Seit Jahren wird in Deutschland mit großer Intensität diskutiert, ob die sog. Rettungsfolter zur Erlangung von Informationen, die das Leben des entführten Opfers oder sogar einer Vielzahl von Menschen retten können, und der Abschuss eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs, durch den Menschenleben am Boden auf Kosten des Lebens von Passagieren gewährleistet werden, strafrechtlich gerechtfertigt werden können. In den USA wurde eine ähnliche Auseinandersetzung bereits durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgelöst. Als wichtigste Vertreter der beiden Rechtssysteme der Welt spiegeln die verschiedenen Lösungen in Deutschland und in den USA ein unterschiedliches Verständnis sowohl vom Strafrecht als auch von der Beziehung zwischen den Bürgern und dem Staat wider. Daher ist ein Rechtsvergleich zwischen den beiden Ländern besonders interessant und lohnenswert.
Ausgangspunkt der Arbeit war die strafrechtliche Rechtfertigung von Hoheitsträgern in sog. tragic choice-Konstellationen, in denen zumindest zwei Wertanrufe in eine Kollisionslage geraten, die ohne Antastung des Kernbereichs zumindest eines der zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien nicht gelöst werden kann. Anhand der Beispiele Rettungsfolter und Flugzeugabschuss wurden nicht nur die Rechtsvorschriften der Notwehr und des Notstands in den beiden Ländern, sondern auch die Lösungen konkreter Fälle sowie ihre Begründungen mit Rücksicht auf alle funktionalen Äquivalente der jeweiligen Rechtsordnung verglichen.
In Deutschland scheitert eine Rechtfertigung der Rettungsfolter durch Notwehr an der Gebotenheit. Die sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts beruhen auf den beiden im selben Rang stehenden Grundgedanken der Notwehr, nämlich dem Individualschutz einerseits und der Rechtsbewährung andererseits. Da das Grundgesetz als geschriebene Verfassung an der Spitze der Hierarchie der Rechtsnormen in Deutschland steht, auf das sich alle anderen Rechtsnormen zurückführen lassen müssen, besteht die Möglichkeit, das Notwehrrecht, basierend auf dem Rechtsbewährungsprinzip, mithilfe der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, insbesondere der Menschenwürdegarantie, einzuschränken. Denn die Rechtsordnung kann nur ein solches Verhalten verteidigen, das im Einklang mit der durch die Verfassung konstituierten objektiven Werteordnung steht. Da der Eingriff in die Menschenwürde des Täters durch Rettungsfolter weder durch das Recht des Opfers auf Leben noch durch seinen Anspruch auf Menschenwürde legimitiert wird, ist davon auszugehen, dass die Rettungsfolter eine Verletzung der Menschenwürde des Täters darstellt und wegen der sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts nicht durch § 32 StGB gerechtfertigt werden kann. Wegen der Verletzung der Menschenwürde fehlt der Rettungsfolter auch die Angemessenheit in Sinne des § 34 StGB.
Für die Rechtfertigung des Abschusses eines Flugzeugs mit unschuldigen Passagieren, das von Terroristen entführt und zur Angriffswaffe umfunktioniert worden ist, finden die Notwehr und der Defensivnotstand keine Anwendung. Der Flugzeugabschuss lässt sich aber auch nicht durch Aggressivnotstand rechtfertigen, weil die Solidaritätspflicht der Unbeteiligten, die im Wesen des rechtfertigenden Aggressivnotstands liegt, ihre Obergrenze in den sogenannten Grundgütern oder bürgerlich-existenziell bedeutsamen Gütern findet. So können Eingriffe in existenzielle Güter eines an der Konfliktentstehung Unbeteiligten, vor allem in sein Leben, nie zulässig sein.
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Einordnung Forschungsprogramm
- Forschungsschwerpunkte: Funktionale Grenzen
- Relevante Rechtsordnungen: Nationales Strafrecht
- Das Projekt ist abgeschlossen.
- Bei Fragen zum Projekt oder zu Dr. Gang Wang wenden Sie sich bitte per Email an uns.
Dr. Gang Wang wurde in Hunan, Volksrepublik China, geboren. Von 1999 bis 2006 studierte er Jura mit Schwerpunkt Strafrecht an der Tsinghua-Universität in Peking. Im Jahr 2006 schloss er sein Studium mit dem Erwerb des Titels „Magister der Rechtswissenschaft“ ab.
Im Studienjahr 2009 beendete er ein Postgraduiertenstudium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, mit dem Erwerb des „Magister Legum“ (LL.M.).
Die Aufnahme in die Research School erfolgte im September 2009, der Abschluss im Juli 2013.
Dissertationsbetreuer:
Prof. Dr. Walter Perron